Jubiläumskonzert des „Liederkranz Kirrlach“
„Reiner, Reiner!“, ruft da eine mahnende mafiose Gestalt im Saal und nähert sich dem Chorleiter Reiner Senger, der gerade zusammen mit dem Männerchor des „Liederkranz Kirrlach“ in der Rheintalhalle nach einem Eröffnungslied mit dem Programm weiterfahren will. Zunächst als ungebetener Gast abgewiesen, stellt sich heraus, dass er (eindrucksvoll verkörpert durch Sören Göckel) nichts weniger ist als dessen musikalisches Gewissen, das den Leiter auffordert, sein Tun zu reflektieren. Auf diese Weise entwickelt sich ein ironisch-heiteres Zwiegespräch, welches einerseits den Hörer an den Gedanken und Überlegungen des Spiritus Rector teilhaben lässt, letzterem andererseits aber auch die Möglichkeit gibt, das Publikum durch das Programm zu führen. So konnte man – zwischen den Zeilen sozusagen – einiges über den Umgang mit der Stilvielfalt dieses Konzertes erfahren. „Wer vieles bringt, wird manchem etwas geben“, meinte Goethe-zitierend das Gewissen. Die Weiterführung dieses Satzes bleibt jedoch dem Rezensenten vorbehalten: „und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Ein zufriedenes, ja begeistertes Publikum lauschte fasziniert den lyrischen Gesängen des großen Männerchors mit älteren volkstümlichen Werken. Es war gleichsam ein Aufleuchten ferner, nahezu entschwundener Männerchor-Romantik. Im weiteren Verlauf wurde mit „Winterstürme“ von Kan Ishii (großartig begleitet von der Pianistin Inge Sacks)und dem „Trommellied“ von Lüderitz nahtlos an die Leistungen früherer Zeiten des Chores angeknüpft. Ein aus dem Männer- und Gospelchor herausgekoppelter Projektchor als Forum für besonders leistungswillige Sänger bestach mit drei brillant vorgetragenen Kompositionen.
Waren es einst die Volkslieder, denen die Komponisten in kunstvollen Chorsätzen klingende Gestalt verliehen, so sind es heutzutage populäre Songs, welche durch geschickte Arrangements eine große Hörerschaft zu fesseln und zu begeistern vermögen. Und was die Fähigkeit des Arrangierens betrifft, so tut es Reiner Senger kaum einer gleich. Schließlich weiß er genau, wie viel er seinen Sängerinnen und Sängern vom „Gospel- und Jazzchor“, der den zweiten Teil des Abends bestritt, zumuten kann. Ihre ausgeprägte Musikalität, gekennzeichnet durch ein auffälliges Feeling für groovende, federnde Rhythmen im Bunde mit makelloser Tongebung – viele Akteure unterziehen sich einer stimmlichen Ausbildung – und sprachlicher Gewandtheit, gibt dem Arrangeur Gelegenheit, den Stücken nach seinen Vorstellungen einen persönlichen Stempel aufzudrücken, ja ihnen sogar zusätzlich tiefere Dimension zu verleihen als ihnen gemeinhin eigen sind. Hinzu kommen noch die herrlichen Stimmen choreigener Solisten von Thomas Stegmüller, Roland Oechsler, Albertus Berlinghof, Katharina Richter, Jasmin Oechsler und Willi Schuhmacher, die im Zusammenwirken mit den Chören die anspruchsvollen Arrangements – ob a cappella oder im Verband mit einer Band (Tristan Senger, Schlagzeug; Stefan Spieß, Bass-Gitarre, Leo Perigo, Klavier)- zu einem wahren Hörgenuss werden lassen. Die Darbietungen wirkten bisweilen psychomotorisch-stimulierend und lösten beim Publikum Interaktionen aus. Mit einem Auszug aus Händels „Zadok, the priest“ belegte der Chor seine Fähigkeit, auch prunkvolle Barockmusik mit bestechender Klarheit zu interpretieren. Vielleicht winkt da ein neues Aufgabenfeld. Ob sich das Gewissen auch gefragt hat, was von der stilistischen Vielfalt dieses Abends wohl Bestand haben wird? Wenn, dann hat es wahrscheinlich auch diesmal bei Goethe die Antwort gefunden: „Was glänzt, ist für den Augenblick geboren, das Echte bleibt der Nachwelt unverloren“.
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Herbert Menrath